Montag, 11. Januar 2010

Mißgeschick auf der Zahnradbahn (II)


















Eine schöne und seltene Postkarte um 1905 aus der Sammlung von Michael Staiger.

Der Betrieb auf der Zahnradstrecke brachte schon gleich zu Beginn 1893 einige Probleme und Zwischenfälle.
Bei der Planung des Betriebsablaufes auf der Zahnradbahn ist man wohl davon ausgegangen, dass die Lokomotiven immer vorwärts an der Zugspitze fahren. Auch auf der Zahnradstrecke - rauf und runter. Weswegen auch die Loks so aufwändig gebaute Kessel hatten. Das ersparte zeitraubendes Umsetzen der Lokomotiven, auch wird beim Nachschieben des Zuges die Leistung der Lok schlechter ausgenutzt. Und Lokleistung hatte man ja nicht im Überfluss. Darum wurde auch Station Lichtenstein mit Durchgangsgleis ohne Umsetzmöglichkeit gebaut. Kurz vor Inbetriebnahme 1893 hatte man sich jedoch dazu entschlossen bergwärts nur im Schiebebetrieb zu fahren. Die Honauer Zahnradstrecke war mit einer Steigung von 1:10 (1m auf 10m Entfernung) die steilste Normalspurzahnradstrecke Deutschlands. Das bedeutete auch extreme Belastung der Wagenkupplungen. Eine Lok im Schiebebetrieb bot für diese steile Strecke größtmögliche Sicherheit. Nun hatte man aber den Nachteil die Loks vor dem Befahren der Zahnradstrecke an das Zugende umsetzen zu müssen. Besonders erschwerend war jedoch, dass ein neuerliches Umsetzen der Lok an die Zugspitze in der Station nicht möglich war weil kein Umsetzgleis vorhanden war. Darum musste eine zweite Lok dem Zug voraus fahren um den Zug dann ab Station Lichtenstein weiterführen zu können. So war der Betrieb auf der Zahnradbahn recht kompliziert und bot zusätzlichen Raum für Betriebsstörungen. Die gab es auch, wie ein köstlich formulierter Bericht der Schwarzwälder Kreiszeitung zeigt:

Honau, 21. Nov. N e u e s M i ß g e s c h i c k a u f d e r
Z a h n r a d b a h n.
Einen mehrstündigen unfreiwilligen Aufenthalt hatten gestern
die Reisenden des hier um 2 Uhr 24 Min. nachmittags nach
Münsingen abgehenden Zuges. Die Zahnradmaschine
"Lichtenstein" fuhr diesem Zuge voraus, um auf dem Haltepunkt
Lichtenstein dessen Weiterführung bis Münsingen zu übernehmen.
Die Maschine konnte jedoch den Haltepunkt nicht erreichen,
denn einige 100 Meter abwärts überkam sie plötzlich ein
solches Unwohlsein, daß sie trotz der Anstrengungen ihres
Führers auch nicht mehr einen Meter vorwärts zu bringen war.
Unterdessen kam der Zug nachgefahren, musste aber vor der
Schwerverletzten halt machen, und nachdem auch der Führer
des Zugs sich überzeugt hatte, daß ein Vorwärtsbringen der
Lokomotive "Lichtenstein" unmöglich war, fuhr der Zug wieder
in den hiesigen Bahnhof zurück, begleitet von Lobeserhebungen
der Reisenden. Später gelang es dann doch, die Verletzte
wenigstens so weit herzustellen, daß sie unter der größten
Schonung talwärts in den hiesigen Bahnhof transportiert werden
konnte, sodaß gegen Abend der Weiterfahrt des Zuges nach
Münsingen kein Hindernis mehr im Wege stand.

Die Zahnradbahn hatte schon vor ihrem Bau viele Kritiker, die sie als Nadelöhr bezeichneten
und den Bau einer Reibungsbahn forderten. Die vielen Zwischenfälle bestärkten sie noch,
weswegen sie nun ihren Umbau verlangten. Man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass
eine Reibungsbahn ungleich mehr gekostet hätte, was den Bau der Strecke Reutlingen Münsingen hinauszögerte oder unmöglich machte. Die Lokomotiven waren vermutlich auch im Verbundbetreib schwer zu bedienen, weswegen wohl anfangs oft mit Frischdampf auf allen Zylindern gefahren wurde und so der Kessel den erforderlichen Dampf nicht aufbringen konnte. Züge mussten mehrfach auf halber Strecke anhalten weil der Lok die Puste ausgegangen war und es musste zuerst wieder frischer Dampf gemacht werden. Diese Situation wurde jedoch schnell geändert. Gleich 1893 begannen Planungen zum Bau eines Kreuzungsgleises auf Station Lichtenstein. 1902 wurde die Station abermals erweitert und erhielt eine Drehscheibe und einen Lokschuppen aus Wellblech.

Bildertanzquelle - Postkarte = Michael Staiger / Text = Rainer Hipp

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