Samstag, 4. November 2017

Im Juni 1929: Mit der Einrichtung eines öffentlichen Verkehrsmittels durch Julius Vöhringer beginnt in Holzelfingen ein neues Zeitalter.

Die obigen Fotos wurden in den Jahren 1929 und 1934 gemacht.

Pfarrer Paulus beschreibt im "Heimatboten"  - dem evang. kirchlichen Gemeindeblatt für Holzelfingen - vom Juli 1929, nachfolgendes:

Das ist schon lange ein Schmerz der Holzelfinger gewesen, dass wir im Zeitalter der Eisenbahn und des Autos immer noch ohne alle öffentlichen Verkehrsmittel geblieben sind. Und doch gehen täglich über 100 Personen die Steige hinab ins Geschäft. Nun endlich ist ein Anfang gemacht worden.
Am 3. Mai 1929 berief der Polizeidiener im Auftrag von Julius Vöhringer eine Versammlung ins Schulhaus zwecks Besprechung der Einrichtung regelmäßiger Autoverbindung mit Unterhausen, besonders für die Arbeiter. Julius Vöhringer teilte mit, dass er beabsichtige einen Lastkraftwagen anzuschaffen und für Personenbeförderung einzurichten, falls die Arbeiterschaft sich dieses Beförderungsmittel ins Geschäft und zum Bahnhof Unterhausen zu bedienen gewillt sei. Selbstverständlich könne er das Risiko nur auf sich nehmen, wenn er mit allgemeiner Benützung der Fahrgelegenheit rechnen dürfte. Bei der Besprechung stellte sich gleich heraus, dass das Unternehmen mit großen Schwierigkeiten zu rechnen habe. Diese bestehen hauptsächlich darin, dass außer von der Arbeiterschaft in Holzelfingen kein nennenswerter täglicher Verkehr aufgebracht wird und auch kein Hinterland vorhanden ist, das einbezogen werden könnte. Dadurch kann der Unternehmer die Fahrpreise für die Arbeiter nicht so niedrig gestalten, als dies für letztere erwünscht ist. Dies umso schwerer, als er zur Beförderung der Arbeiter wegen der verschiedenen Arbeitszeiten nicht zwei Fahrten, sondern mindestens vier Fahrten täglich machen muß (1/2 6 Uhr morgens, 2 Uhr nachmittags, 5 und 10 Uhr abends). Das verteuert den Betrieb ungemein und erschwert die sonstige Ausnützung des Kraftwagens. Mit dem Mut der Jugend hat Julius Vöhringer trotz dieser Schwierigkeiten den Wagen angeschafft und den Betrieb eröffnet. Es war ein Ereignis, als am 7. Juni abends der Wagen mit der Aufschrift: Julius Vöhringer, Autovermietung, Holzelfingen einlief und der Polizeidiener abends die Eröffnung des Betriebs für den folgenden Tag ankündigte. Infolge einer gleich notwendig gewordenen Reparatur am Kraftwagen trat eine Pause von 14 Tagen ein. Aber seit Samstag, 22. Juni, fährt er zu den oben angegebenen Zeiten. Leider kann der Wagen zu Fahrten nach der Bahn nur abends von den Zügen ab Reutlingen: 17:22 Uhr und 21:07 Uhr benützt werden. Dagegen wird von unseren Bäuerinnen sehr geschätzt, dass der Wagen jeden Samstag nach Reutlingen zum Markt fährt. So können sie mit Ihren Erzeugnissen bis auf den Marktplatz fahren und sind bis Mittag wieder daheim. Auch an Sonntagen, bei Hochzeiten und Beerdigungen ist der Wagen sehr willkommen. Aber diese außerordentlichen Verwendungen speisen den Verkehr nicht. Er kann bloß aufrechterhalten bleiben, wenn die Arbeiter sich entschließen, den Wagen zu benützen. Bis jetzt ist das nicht in der erforderlichen Weise geschehen. Man ist über den Fahrpreis (2,30 RM für die Wochenkarte des Arbeiters) mit dem Unternehmer nicht eins. Viele ziehen noch vor, wie seither die 3,5 Kilometer nach Unterhausen und zurück zu Fuß zurückzulegen. Doch sollte jedes auch bedenken, dass er durch Fahren an Körperkraft spart, also seine Gesundheit schont und daheim noch leistungsfähiger ist. Auch kann für jetzt keine Rede davon sein, dass der Unternehmer ein gutes Geschäft macht. Vielmehr steht ernstlich in Frage, ob er den Betrieb fortführen kann.

Zum Personen-Lastauto ist schnell auch ein Personenkraftwagen (6-Sitzer) gekommen. Die Brüder Christian und Robert Munz, zusammen mit Robert Taxis haben ein schon gebrauchtes Auto angeschafft, das z. Zt. von Christian Taxis als Fahrer bedient wird. Dieser Wagen führt keine regelmäßigen Fahrten aus, steht aber jederzeit zu jedermanns Bedienung bereit. In manchen Fällen ist er auch ein sehr willkommenes Beförderungsmittel.

Aller Anfang ist schwer. Das gilt besonders für die Holzelfinger Verkehrsmittel. Aber was nicht anfängt kann auch nicht gedeihen. Mögen auch hier die Anfangsschwierigkeiten glücklich überwunden werden!

Foto: Archiv des GHV-Lichtenstein                                                                                Bearbeitung + eArchiv: Dieter Bertsch

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